Machbarkeitsstudie

Kongresse unter Corona-Bedingungen: KO oder GO?

Fachmessen und Fachkongresse können unter „strengen Auflagen“– mit Schutzkonzept – in vielen Bundesländern wieder stattfinden (Stand Ende Mai 2020) – z. B. in NRW ab dem 29. Mai mit bis zu 1.000 Teilnehmern. Doch was bedeuten 1,5 m Mindestabstand und maximal 1 Besucher / Teilnehmer auf 10 qm Freifläche (1 / 10 qm) in der Praxis? Welche Folgen hat das für die maximale Teilnehmerzahl (Pax_max) im Plenarsaal und wie reduziert sich Pax_max ggf. durch enge Kapazitätsgrenzen am Tagungsbüro, in der Fachausstellung, beim Catering und durch die Toilettensituation? Welche Personendichte ist relevant? Wie wird sie gemessen? Was machen die Corona-Auflagen mit dem Kongress, den Teilnehmern, dem Veranstalter und dem Betreiber? Diese Fragen waren Gegenstand der Machbarkeitsstudie für einen realen Kongress, deren Bedingungen und Konsequenzen nachfolgend aufgezeigt werden. Am Ende steht für jedes Gewerk und den Kongress als Ganzes der KO oder das GO.

Corona-Fragezeichen(Bild: pixabay)

GO oder KO?

Kunden bzw. Kongressveranstalter entscheiden sich häufig für bzw. gegen eine Tagungsstätte aufgrund der Kapazität des Plenarsaales – dem Vortragsraum mit dem größten Fassungsvermögen, der maximalen Personenzahl (Pax_max). Unter Corona-Bedingungen wird Pax_max durch mehrere Parameter relativiert: Das „GO“ bzw. der „KO“ für eine Kongress-Location bzw. eine definierte Teilnehmerzahl entscheidet sich unter Corona-Bedingungen weniger an der Kenngröße „Pax_max“ als an den (nicht ausreichenden) Flächen bzw. Kapazitäten für Tagungsbüro, Industrieausstellung, Catering und / oder Klo. Sie werden zu potentiellen Killern für „Pax_max“. Deshalb verdienen diese Funktionsbereiche besondere Aufmerksamkeit beim Location-Screening, der Eventplanung und dem behördlichen Genehmigungs- und Prüfverfahren.

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Die Corona-Bedingungen führen zu höheren Anforderungen an die Raumkapazitäten und die Funktionalität der Location. Das hat weitreichende Folgen für die Planung und Interdependenz der Infrastrukturfaktoren von Indoor-Events wie Tagungen, Kongresse, Symposien. Nachfolgend werden die aus dem Ordnungskonzept resultierenden Fragestellungen und Probleme anhand einer real durchgeführten Machbarkeitsanalyse diskutiert. Dabei liegt der Fokus auf dem Mindestabstand 1,5 m und der Personendichte 1 Pax / 10 qm für Freiflächen. Das Hygienekonzept wird an anderer Stelle behandelt. Zum Schutz der Anonymität der Location und der Kongressveranstaltung sind einzelne Daten teilweise modifiziert, wobei die Essenz unverändert bleibt.

4-Phasen der Kongressplanung unter Corona-Bedingungen

Die Machbarkeitsprüfung von Pax_max ist die Phase eins bei der Kongress-Neuplanung unter Corona-Bedingungen. Grundlegend sind die Kapazitätsberechnungen für die einzelnen Räume auf Basis von Mindestabstand und maximaler Personendichte unter Berücksichtigung der Vorgaben von (M-)VStättVO, des Arbeitsschutzes, der DGUV / Berufsgenossenschaften und ggf. weiterer (Bauordnungs-) Auflagen. Am Ende steht die rechnerisch höchstmögliche Personen- / Teilnehmerzahl für den konkreten Raum. Für NRW gilt maximal „eine Person je 10 qm zugänglicher Ausstellungsfläche“ („Hygiene- und Infektionsschutzstandards zur CoronaSchVO NRW, Stand 30.05.2020“). In anderen Bundesländern lauten die Vorgaben 1 / 5 qm bzw. 1 / 20 qm.

In der Phase zwei erfolgt die Aufplanung der neu zu gestaltenden Laufwege sowie der zusätzlich erforderlichen Stauflächen bzw. Wartezonen. Die Führung der Laufwege erfolgt (idealerweise) mit getrennten Ein- / Ausgängen und kreuzungsfreien Einbahnstraßen. Auch für Wege und Wartezonen gilt der Mindestabstand 1,5 m.

Vor Ort, in der dritten Phase, wird das theoretisch Geplante in praktisches Handeln umgesetzt. Beim ersten Mal, ohne Erfahrungswerte und bei dieser Komplexität, kann nicht alles sofort perfekt klappen. Umso wichtiger ist es, mit genügend eigenen Mitarbeitern, Ordnungsdienst usw. im Einsatz zu sein, damit bei Planabweichungen („Störfällen“) sofort eingegriffen und flexibel gegengesteuert werden kann. Das stellt hohe Anforderungen an die Schulung der eigenen Mitarbeiter, die Auswahl der Dienstleister sowie die Unterweisung und Supervision speziell der (nur kurzfristig im Projekteinsatz tätigen) Fremd-Arbeitskräfte.

Die Phase vier hat den Schwerpunkt in der Nachbereitung der Veranstaltung mit Evaluation und Dokumentation. Stichworte sind: Soll-Ist-Vergleich. Planabweichung als Problemfall. Was ist gut gelaufen / hat sich bewährt? Neue Erfahrungswerte für einzelne Prozessschritte. Verbesserungsvorschläge mit dem Ziel: Optimierung der nächsten Tagung(-en) in Anlehnung an das T.O.T.E.Modell.

Ordnungskonzept: Abstand Min. 1,5 m, Personendichte max. 1 / 10 qm

Sicherheitsabstand(Bild: pixabay)

Grundlage des Ordnungskonzeptes für das Teilnehmermanagement vor Ort unter Corona-Bedingungen sind der Mindestabstand 1,5 m und eine Personendichte von i.d.R. max. 1 Teilnehmer auf 10 qm (1 / 10 qm) in der „zugänglichen Ausstellungsfläche“ (z. B. NRW) – und damit (wohl) auch für die frei begehbaren Flächen inkl. Verkehrswegen (Flucht-/ Rettungswegen).

Tagungen, Kongresse und vergleichbare Fortbildungsveranstaltungen finden i.d.R. Indoor statt, in genehmigten Versammlungsstätten und somit im Geltungsbereich der jeweiligen Landes-VStättVO. Medizinisch-wissenschaftliche (Fach-) Kongresse zeichnen sich durch typische Funktionsbereiche (Gewerke) aus – i.d.R.: Tagungsbüro, Garderobe / Gepäckdepot, Zugangskontrolle, Plenarsaal (ggf. zzgl. Seminar- / Workshopräume), Posterausstellung, Fachausstellung, Pausengastronomie / Catering in der Fachausstellung sowie den notwendigen Flucht- / Rettungswege und Sanitäranlagen nach (M-)VStättVO.

Dashbord Machbarkeitsstudie

Eckpunkte für die Machbarkeitsstudie Fortbildungstagung „abc“ in Location „xyz“ im Herbst 2020 unter Corona-Bedingungen, Stand Ende Mai 2020.

Location Kongresshaus. Neubau Anfang der 60er Jahre. Alle Räume befinden sich auf einer Ebene.
Veranstaltungsart Medizinischer Fortbildungskongress, eintägig, eingleisig (Plenarveranstaltung).
Zielgruppe Weibliches Fachpersonal. Nur wenige Männer (meist Fachaussteller, Techniker).
Teilnehmer Zweijähriger Turnus. In den Vorjahren ca. 600-800 zahlende Teilnehmerinnen.
Fachausstellung Ca. 50-60 Aussteller. Gesamtstandfläche bis zu 400 qm.

Ca. 100 Firmenmitarbeiter an den Ständen. Etwas 2/3 Frauen, 1/3 Männer.

Finanzierung Gesamterlös ca. 40 % Teilnehmergebühren und ca. 60 % Fachausstellung.
Hinweis Echte Veranstaltung, echte Zahlen. Werte verfremdet, um die Anonymität der Location und der Veranstaltung zu wahren.
Raum ca. Funktion
Eingangsfoyer 630 qm Abgehend / verbunden mit Garderobe und Toiletten m/w.
Positionierung Tagungsbüro mit mobilen Countermöbeln.
Plenarsaal 1.000 qm Reihenbestuhlung mit Empore ca. 2.200 Pax.
Raum 1 300 qm Die Räume / Foyers 1-7 werden für die Industrieausstellung genutzt. Keine Posterausstellung. In die Fachausstellung stehen fünf Catering-Inseln und ca. 30 Stehtische. Die Räume / Foyers sind so miteinander verbunden, dass die Teilnehmer die Fachausstellung mit kreuzungsfreien „Einbahnstraßen“ begehen können. Im Gebäude sind insgesamt 7 Toilettenanlagen m/w vorhanden.
Raum 2 180 qm
Raum 3 180 qm
Raum 4 90 qm
Raum 5 340 qm
Raum 6 170 qm
Raum 7 410 qm
Bruttofläche ca. 3.300 qm

Der Plenarsaal fasst nach M-VStättVO in Stuhlreihen bei 2 Pax / qm insgesamt rd. 2.000 Besucher. Nach der Aufplanung gemäß Corona-Standard und unter Zugrundelegung von 4 qm / Pax mit einem Stuhlabstand von 2 m (Vorgabe des Kunden) beträgt das Fassungsvermögen noch N = 144 Teilnehmer. Bei Nutzung der Empore mit N = 43 Personen on top beträgt die Gesamtkapazität „Plenarsaal Plus“ maximal N = 187 Teilnehmer.

Lackmustest. Die entscheidende Frage lautet: Können sich die N = 144 Plenums-Teilnehmer (bzw. N = 187 Pax) in den Pausen zeitglich in der Fachausstellung aufhalten? Gleiches gilt für den Toilettenbesuch zu den Pausenzeiten (Hinweis: Zur Methodik siehe auch das letzte Kapitel.) Umgekehrt – reicht das Fassungsvermögen der Fachausstellung bzw. der Personendurchsatz der Toiletten aus, um die Vorgaben für den Mindestabstand und die Personendichte für N = 114 / 187 Pax_max zuverlässig einhalten zu können?

Musterrechnung Teilnehmerkapazität / Ausstellungsraum

Taschenrechner(Bild: pixabay)Gemäß den Vorgaben von NRW für die Personendichte mit 1 / 10 qm für die Freifläche erfolgt exemplarisch die Musterberechnung für die Besucherkapazität des Modell-Ausstellungsraumes:

  • Grundfläche des Raumes: 10 m x 30 m = 300 qm (Bruttofläche).
  • Die Ausstellungsstände messen in der Basisversion 3 m Länge x 2 m Tiefe = 6 qm. Im Raum stehen die Stände an beiden Längsseiten. Bei der Standlänge 3 m zzgl. dem Mindestabstand 1,5 m von Stand zu Stand sind in dem Ausstellungsraum -unter Berücksichtigung von Ein- und Ausgang- ca. 12 Ausstellungsstände möglich. Die für Teilnehmer nicht „zugängliche“ Ausstellungsfläche ist mit 2 (rechts, links) x 2 m x 30 m (gerundet) zum Abzug zu bringen = 120 qm.
  • Abzüglich Fläche für Cateringstände (F & B): 2 Stände à 10 qm = 20 qm.
  • Abzüglich sonstiger Funktionsflächen (z. B. Staufläche für mobile Trennwände), hier ca. 6 – 7 Stehtische mit Durchmesser 80 cm und einer Fläche von je 0,5 qm = 4 qm.
  • Für Teilnehmer „zugängliche Ausstellungsfläche“ / frei begehbare Verkehrswege (Freifläche) beträgt: 300 qm – 120 qm – 20 qm – 4 qm = 156 qm (Nettofläche).

Ergebnis: Bei einer maximalen Dichte von 1 Teilnehmer auf 10 qm (1 / 10 qm) dürfen sich nach Corona-Standard rechnerisch 15,6 Teilnehmer, abgerundet 15 Teilnehmer, gleichzeitig in dem Ausstellungsraum befinden.Additiv kommen bis zu ca. 20 Firmenmitarbeiter an den Ausstellungständen hinzu (ca. 1,5-2 Pax / Stand). Deren Zahl ist primär nicht limitiert, ergibt sich aber rechnerisch aus dem Abstandsgebot (siehe dazu auch Methodik).

Nadelöhr Industrieausstellung

In der Location beträgt die für Teilnehmer insgesamt frei begehbare Ausstellungsfläche etwas mehr als 1.000 qm Netto. Bei einer Personendichte von 1 / 10 qm können sich gerundet N = 100 Teilnehmer gleichzeitig in den Ausstellungsräumen aufhalten und die Fachaussteller besuchen. Dabei ist der Flächenbedarf für 5 dislozierte Cateringstände für F & B und ca. 30 Stehtische bereits berücksichtigt.

Ergebnis: Der Plenumskapazität von N = 144 bzw. N = 187 übersteigt die Zahl der Teilnehmer deutlich, die sich gleichzeitig in der Fachausstellung aufhalten dürfen (N = 100). Somit braucht es eine (automatisierte) Überprüfung und Steuerung der Personenströme. Damit die Fachausstellung Grünes Licht und damit das GO bekommt, gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten für die Einlasskontrolle bzw. die Personenzählung:

  1. Die aktuellen Nicht-Ausstellungsbesucher (N = 44 bzw. 87) bleiben im Plenarsaal, besuchen das entfernte Restaurant oder weichen ins Eingangsfoyer aus bzw. können die Toiletten aufsuchen.
  2. Um allen den Besuch der Fachausstellung zu ermöglichen, werden die Teilnehmer*innen in zwei Gruppen eingeteilt, von denen jede die halbe Pausenzeit für den Besuch der Fachausstellung zur Verfügung hat.
  3. Möglich wäre auch die automatisierte Kontrolle der ein- und austretenden Personen mit exakter Echtzeit-Anzeige.

Mit jeder Maßnahme kann sichergestellt werden, dass sich in der Ausstellung zeitgleich nicht mehr als 100 Teilnehmer*innen befinden. Marketingmäßig haben die Varianten erhebliche Konsequenzen für die Akzeptanz der Veranstaltung bei den Teilnehmern und den Aussteller / Sponsoren.

Ergebnis: Formal kann das Ordnungskonzept der Fachausstellung Grünes Licht bzw. das GO bekommen.

Nadelöhr Foyer

Das Eingangsfoyer wird nicht als Ausstellungsfläche genutzt. Hier befinden sich das Tagungsbüro, die Garderobe inkl. Gebäckdepot und der Zugang zu den beiden größten Toiletten. Planmäßig dient das Foyer als Rückstauraum für die (möglichst kurze) Warteschlange am Tagungsbüro und den Zugang zu den Toiletten – und außerhalb der „Rushhour“ auch als Überlauffläche. Die Garderobe und die Zugangskontrolle sind dem Tagungsbüro nachgelagert. Der Zugang wird über das Tagungsbüro gesteuert, so dass hier allenfalls ein geringer zusätzlicher Flächenbedarf erforderlich ist.

Das Eingangsfoyer hat 650 qm Grundfläche. Abzüglich ca. 35 qm für das Tagungsbüro und diverse Säulen stehen rund 600 qm Nutzfläche zur Verfügung. D.h., das Foyer verfügt unter Corona-Bedingungen bei einer Teilnehmerdichte von 1 / 10 qm rein rechnerisch über ein Fassungsvermögen von 60 Pax.

Ergebnis: Bereits bei N = 144 Teilnehmern (Pax_max Plenarsaal) braucht es ein differenziertes Einlassmanagement mit Time-Slots. Nur so kann die Teilnehmerdichte von zeitgleich max. 60 Pax im Foyer zuverlässig eingehalten werden kann. Das gilt es insbesondere bei der Planung für die Registrierung am Tagungsbüro zu beachten, damit dieses Ordnungskonzept das GO erhalten kann.

Nadelöhr Tagungsbüro, Garderobe, Einlasskontrolle

Was zunächst als das vielleicht größte Problem erscheint, muss in der Praxis keines sein: Das Teilnehmermanagement am Tagungsbüro sowie der Workflow an der Garderobe und bei der Einlasskontrolle. Durch (ausschließliche) Onlineregistrierung, bargeldloses Bezahlen der Teilnehmergebühr vorab, Barcode und Selfprinting-Stationen für die Teilnehmerunterlagen, elektronische Präsenserfassung u.a.m. kann die Verweildauer am Tagungsbüro auf ein Minimum verkürzt werden bzw. ganz entfallen. Bleibt das Zeit- und Flächenproblem bei der Zugangskontrolle. Je nach geforderter Kontrolltiefe und Anzahl der (gewünschten, möglichen) Kontrollposten sowie Platzierung der Kontroll- / Zugangsstellen ergibt sich der Platzbedarf für den Rückstauraum.

Das beschriebene Setting findet sich eher bei größeren Events bzw. Kongressen mit einem größeren Budget. Aber was ist mit den kleineren Tagungen und/oder bei nur kleinem Budget? Da sind vergleichsweise teure elektronische Features nicht möglich. Auch bei kleineren Veranstaltungen sollten heutzutage Online-Anmeldung und vorab bargeldloses Bezahlen der Teilnehmergebühr Standard sein. Bleibt der persönliche Besuch am Counter z. B. zur Entgegennahme der Teilnehmerunterlagen oder ggf. der Zeitaufwand für Rückfragen an den Teilnehmer bzw. vom Teilnehmer an die Counter-Mitarbeiter.

Kalkuliert man im Durchschnitt 1 Minuten je Teilnehmer Standzeit am Counter, kann 1 Mitarbeiter in der Stunde 50-60 Teilnehmer abfertigen. Geht man davon aus, dass das Gros der Teilnehmer frühestens 30-40 Minuten vor Veranstaltungsbeginn beim Kongress eintrifft, bzw. ihnen ein längerer Vorlauf nicht zugemutet werden soll, reduziert sich der Durchlauf je Counter-Mitarbeiter auf ca. 30 Pax. Geht man wieder von den N = 144 Pax_max Plenarsaal aus, sind unter Corona-Bedingungen rechnerisch 5 Schalter im Parallelbetrieb erforderlich.

Wie beschreiben, können sich bei 600 qm Nettofläche und einer Personendichte von 1 / 10 qm max. 60 Teilnehmer gleichzeitig im Foyer aufhalten. Deshalb müssen Slots eingerichtet werden, um die N = 144 Pax_max corona-konform abarbeiten zu können. Beim Modell Blockabfertigung wären das 3 Time-Slots à ca. 50 Pax. In der Praxis würden die Übergänge sicher fließender sein als bei reiner Blockabfertigung. Trotzdem führt an Zeitfenstern kein Weg vorbei, um unnötige Warteschlangen zu vermeiden. Alternativ könnte auch die Zahl der Counter erhöht werden, wenn die Räumlichkeit das hergibt und/oder die Mehrkosten nicht das Budget sprengen.

Ergebnis: Unter den genannten Bedingungen ist das Tagungsbüro kein Nadelöhr. Eine Reduktion der Plenarkapazität mit N = 144 Pax_max ist nicht erforderlich. Für das genannte Setting könnte es das GO geben.

Nadelöhr Toiletten

Toiletten(Bild: pixabay)

Bei gemischten Veranstaltungen immer das gleiche Bild: Vor der Damentoilette eine lange Warteschlange, während es beim Männer-Klo zügig rein und raus geht. Im Internet habe ich keine Quelle mit validen Daten zu der Frage gefunden, wie lange bei einem Kongress, (Philharmonie-) Konzert oder einer ähnlichen Veranstaltung der Toilettengang bei Männern und Frauen durchschnittlich dauert. Meine subjektive Schätzung lautet: Männer verbringen beim Toilettenaufenthalt im Mittel ca. 3 Minuten inklusive 30 Sekunden Händewaschen, kritischem Blick in den Spiegel und Haare kämmen. Für Frauen würde ich die doppelte Zeit kalkulieren.

Für die Machbarkeitsstudie wurden von den 7 im Haus befindlichen Toiletten 6 für Damen freigegeben. Nur eine kleine Toilettenanlage wurde für die wenigen bei der Veranstaltung anwesenden Herren ausgewiesen. Im ganzen Haus stehen disloziert somit 36 WCs für Damen zur Verfügung.

Legt man eine Kongress-Kaffeepause mit 30 Minuten zugrunde und geht von einer durchschnittlichen Verweildauer von 6 Minuten pro Teilnehmerin aus, dann ergibt sich rein rechnerisch eine Toilettenkapazität von: 6 Min. / Frau x 5 Belegungen (in 30 Min.) x 36 WCs = 180 Frauen bei nahtlosem Wechsel und ohne Zwischenreinigung.

Nun könnte eingewendet werden, dass auch die Damen der Standbesatzung aus der Fachausstellung (im Schnitt 1,5-2 Pax / Stand) bei der Toiletten-Kapazitätsberechnung berücksichtigt werden müssten. Im Grunde richtig, nur … die Firmenmitarbeiterinnen suchen in den Vortragspausen das Gespräch mit den Kongressbesuchern. Deshalb erfolgt ihr Toilettengang vorzugsweise in der Zeit vor bzw. nach den Pausen. Somit schlagen die Damen der Ausstellung bei der pausenbezogenen Berechnung der Toilettenkapazität nicht on top zu Buche.

Zwischenergebnis: Bei N = 147 Pax_max Plenum dürfte unter den genannten Bedingungen die Toilettenkapazität ausreichen, wenn in der 30-minütigen Kaffeepause jede Teilnehmerin der Toilette einen (!) Besuch abstattet. Ob die zugrunde gelegten Werte tatsächlich stimmen, wäre erst noch zu beweisen. Natürlich kann Mann / Frau auch außerhalb der Pausenzeiten auf die Toilette gehen. Nur nützt diese theoretische Alternative nichts, wenn das Bedürfnis in der Pause drängend ist oder Mann / Frau die Vorträge hören möchte.

In der Praxis lässt sich aufgrund der individuellen Bedürfnislage der Toilettengang nicht gleich effektiv in Slots tackten, wie das z. B. am Tagungsbüro oder beim Besuch der Fachausstellung möglich ist. Als Folge können sich wieder Warteschlangen bilden – wenngleich kürzere. Auch hier besteht Bedarf für ein suffizientes Crowdmanagement mit Verteilung auf alle 6 Toilettenanlagen im Haus, um die Warteschlange mit jeweils 1,5 m Abstand corona-tauglich zu gestalten.

Die rechnerische Gesamtkapazität ist das Eine, das tatsächliche Nutzungsverhalten das Andere. Daraus folgt, dass der faktische Zugang zum Toilettenbereich vor Ort gesteuert werden muss, um Staus und eine Unterschreitung der 1,5 m Mindestabstand sicher zu verhindern. Weiterhin sind Zwischenreinigungen und Desinfektion von WCs und Handwaschbecken einzuplanen. Ggf. müssen auch Flüssigseife, Papierhandtücher und Handdesinfektionsmittel nachgefüllt und die Abfallbehälter geleert werden.

All dies muss bei einer möglichen Vorabprüfung des Schutzkonzeptes durch die Genehmigungsbehörde offensichtlich gewährleistet sein. Ist das nicht der Fall oder wenn bei einer Vor-Ort-Prüfung entsprechende Defizite festgestellt werden, besteht die Gefahr, dass die Veranstaltung nicht genehmigt bzw. Abbruch oder Unterbrechung angeordnet wird.

Ergebnis: Bei den Toiletten besteht die größte Gefahr für das NO. Für den ordnungsgemäßen, sicheren Betrieb fordert z. B. der Gesundheits- und Arbeitsschutz die sorgfältige Auswahl und zuverlässige Unterweisung der (Toiletten-) Mitarbeiter (m/w), damit sie ggf. rechtzeitig und effektiv steuernd eingreifen (können). Weiterhin ist die Umsetzung der geplanten Maßnahmen (stichprobenartig) zu überprüfen und zu dokumentieren. Und … plötzlich wird der Toilettenmann bzw. die Toilettenfrau systemrelevant. Ohne sie läuft gar nichts!

Nadelöhr Pausengastronomie / Catering

Die meisten Medizinkongresse finanzieren sich zu einem erheblichen Teil über die Einnahmen aus der Fachausstellung (siehe Dashboard). Die Firmen präsentieren sich den Teilnehmern in der Fachausstellung, um die Fachkreise direkt über ihre neuen bzw. bewährten Produkte und Dienstleistungen zu informieren. Viele Besucher sind intrinsisch motiviert und besuchen die Fachausstellung aus eigenem Antrieb. Als zusätzlichen Impuls plant der Veranstalter bzw. PCO in der Fachausstellung an strategischen Stellen die gastronomische Pausenversorgung. Speisen und Getränke sind für die Teilnehmer i.d.R. kostenfrei. Mit diesem Teaser soll die Kommunikation zwischen den Teilnehmern und Ausstellern gefördert werden.

Nehmen wir für die Musterbetrachtung wieder den eingangs genannten Ausstellungsraum mit den Maßen 10m x 30 m. Die Standtiefe beträgt beidseitig 2 m, wobei die Tische 1 m breit sind. Somit verbleiben als Verkehrswegbreite 6 m. In der Gangmitte werden Stehtische mit 80 cm Durchmesser aufgestellt, damit die Teilnehmer mit ihrem F & B verweilen bzw. Geschirr abstellen können. Nimmt man nun eine Halbseitenbetrachtung vor, liegen zwischen Raummitte und Tisch-Vorderkante 3 m. Für den „Tischsteher“ schlägt gemäß der Formel von Oberhagemann (2012 – siehe Mücke „Schein oder Sein“) die halbe Körperquerachse mit 0,25 m zu Buche. Zu addieren sind 0,75 cm vom halben Mindestabstand (1,5 m). Somit stehen noch 2 m in der Breite für passierende Teilnehmer zur Verfügung. Für ihn werden rechnerisch benötigt: 0,75 m halber Mindestabstand plus 0,5 m Körperquerachse plus 0,5 m bis zur Tisch-Vorderkante. Damit ist auch der Sicherheitsabstand mit 1,5 m zum Firmenmitarbeiter hinter dem Tisch gegeben. Rein rechnerisch besteht noch ein Puffer von 25 cm zwischen den drei „vermessenen“ Personen – auf beiden Seiten.

Ergebnis: Die Pausengastronomie kann dem Grunde nach – wie schon in der Vor-Corona-Zeit – in der Fach­ausstellung realisiert werden – auch mit einer Buffet-Station und Steh­tischen unter Wahrung des Corona-Mindest­abstandes. Das führt aber nur zu einem eingeschränkten GO, denn…

„Tischlein deck Dich …“

Geschirr(Bild: pixabay)An einem 80 cm-Stehtisch hatten vor Corona 4 Personen Platz. Unter Corona-Bedingungen reduziert sich das auf 1 Pax / Stehtisch. Erst wenn zwei Stehtische zusammengestellt werden, haben 2 Teilnehmer Platz – bei 1,6 m Mindestabstand. Bis zum nächsten Tisch braucht es wieder mindestens 1,5 m Abstand. Bei einer Raumlänge von 30 m können unter Abzug des Platzbedarfes für die Ausstellungstände und die Catering-Station sowie unter Berücksichtigung der Tischabstände und Platzes am Ein- und Ausgang nur noch ca. 6 – 7 Stehtische in dem Raum aufgestellt werden. Nach der Flächenformel A=π·r2 hat jeder Stehtisch eine Fläche von 0,5 qm, so dass von der Freifläche nochmals 3 qm bzw. 4 qm abgezogen werden müssen. Für diesen Raum bleibt es bei einer Personendichte von maximal 15 Teilnehmern.

Die hier zugrunde gelegte Gesamt-Ausstellungsfläche mit rd. 1.000 qm verteilt sich auf 7 Räumlichkeiten mit sehr unterschiedlichen Flächenmaßen. Deshalb sind die max. Personendichte und die Catering-Kapazität für jeden Raum einzeln zu berechnen. An dieser Stelle muss der Hinweis genügen, dass die Catering-Kapazitäten in der Fachausstellung unter Corona-Bedingungen bei weitem nicht ausreichen, um alle Plenumsteilnehmern (N = 144 / 187 Pax_max) zeitgleich aufzunehmen. Das gilt auch bei Anwendung der Split-Halfe-Methode und dem Durchlauf in 2 Time-Slots. D.h., es braucht ein neues Gastronomiekonzept, damit alle Besucher verpflegt werden können; z. B. „Doggy-Bag“ zum Verzehr im Plenarsaal oder Tellergerichte im angeschlossenen Restaurant.

Ergebnis: Das Konzept aus der Vor-Corona-Zeit mit einer größeren Zahl von Catering-Stationen und ausreichend Stehtischen in der Fachausstellung für alle Teilnehmer*innen funktioniert nicht mehr. Für das herkömmliche Gastro-Konzept bedeutet das ein klares NO. Wenn für viele Teilnehmer die gastronomische Pausenversorgung nicht mehr in den Ausstellungsräumen erfolgt, sondern z. B. im weiter entfernten Restaurant, dann hat das erhebliche Konsequenzen für die (Un-) Zufriedenheit der Aussteller. Sind die Gespräche am Firmenstand deutlich geringer als üblich bzw. erwartet, dann wurde aus Firmensicht ein wichtiges Ziel des Kongress-Sponsorings nicht erreicht. Dann ist die Gefahr sehr groß, dass sie am nächsten Kongress nicht mehr teilnehmen.

Methodik: Das Problem liegt im Detail

  1. Die Corona-Schutzverordnungen der Länder gehen zunehmend nicht mehr von Absolutzahlen aus, so wie das z. B. in der M-VStättVO oder auch noch beim „Beschluss“ mit dem Grenzwert 1.000 Besucher für Großveranstaltungen der Fall ist. Mit der (Netto-) Fläche als Bezugsgröße wird man den unterschiedlichen Bedingungen vor Ort und den individuellen Raumgrößen gerecht.
  2. Ein Problem, das sich auch schon durch die M-VStättVO und andere Gesetze und Verordnungen zieht, ist die begriffliche Unschärfe von Bezugsgrößen, z.B.: maximale Besucherplätze, Besucher / Teilnehmer (Kunden), Person, kumulativ-gesamt / Absolutzahl, zeitgleich Anwesende (in der Spitze). Unter den restriktiven Corona-Bedingungen macht es speziell für die Industrieausstellung einen großen Unterschied, ob nur die Besucher / Teilnehmer erfasst werden oder ob auch die Firmenmitarbeiter an den Ausstellungsständen mitzählen. Vor dem virologischen Hintergrund von Tröpfcheninfektion, Schmierinfektion und Aerosole lassen sich beide Varianten über unterschiedliche Personendichten regeln. Was zielführender ist, wäre zu diskutieren. In NRW und anderen Bundesländern hat sich der Verordnungsgeber für die Maßzahl 1 (Kongress-) Teilnehmer auf 10 qm entschieden.
  3. Wenn nicht zwischen Besuchern / Teilnehmern / Kunden einerseits und der Gesamt-Personenzahl andererseits unterschieden wird, entsteht ein logischer Bruch im Ordnungskonzept mit Mindestabstand und Personendicht. Die virologische Brisanz (z. B. Tröpfcheninfektion, Aerosole, Schmierinfektion) und die möglichen Konsequenzen für das Hygienekonzept (z.B. verstärktes Lüften) sind noch nicht (aus-) diskutiert. Dies gilt nicht nur für Kongresse sondern für alle Anwendungsbereiche, z.B. auch die Vorgaben für den Einzelhandels.
  4. Die Bundesländer legen die Grenzwerte für die „zugängliche Ausstellungsfläche unterschiedlich fest, z. B. 1 / 5 qm (Hessen), 1 / 10 qm (NRW u.a.) 1 / 20 (Sachsen-Anhalt). Nicht explizit ausgewiesen aber logisch konsistent wäre es, wenn der Grenzwert 1 / 10 qm auch für alle frei begehbaren Flächen inklusive den Verkehrswege gilt.
  5. Corona-Grenzwerte sind Setzungen. Für ihre Sinnhaftigkeit gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg. Allenfalls die logische Evidenz spricht für bzw. gegen einzelne Werte. Hier könnte mit einem vergleichsweise kleinen Budget eine Studie aufgesetzt werden. Im praktischen Feld könnten valide und reliabel Daten ermittelt werden, die auch einer gerichtlichen Überprüfung standhalten.
  6. Die Corona-Schutzverordnungen sagen nichts darüber, wie die Kapazitäten zu ermitteln sind: Jeweils einzeln oder kumulativ – ggf. mit einem Verrechnungsfaktor. Solange vom Verordnungsgeber diesbezüglich keine klaren Vorgaben kommen, werden die Genehmigungsbehörden vor Ort diese Entscheidungen treffen (müssen). Das wird in der Praxis zu diskordanten Entscheidungen führen. Dies so lange, bis sich durch Gerichtsentscheidungen ein neuer Stand der Technik entwickelt.
  7. Es ist logisch, dass nicht alle Teilnehmer Pax_max gleichzeitigt an allen kritischen Orten sein können. Das spricht dafür, dass die Einzelbetrachtung der kritischen Orte (z. B. Tagungsbüro, Fachausstellung, Toiletten) wichtige Anhaltspunkte für Kapazitäten und Kapazitätsengpässe liefern kann, alleine aber nicht ausreicht. Entscheidend ist die Synopse, die systemische Gesamtbetrachtung der Besonderheiten des Einfalls. Wenn bei der Planung bzw. dem Genehmigungsverfahren rechnerisch potentielle Engpässe deutlich werden, dann müssen diese bereits in diesem Stadium, spätestens aber beim Kongress vor Ort, durch Planänderungen bzw. geeignete Kompensationsmaßnahmen entschärft bzw. vermieden werden.

Fazit: Locations dürfen ihre Türen wieder öffnen. (Fach-) Tagungen und Messen können wieder stattfinden. Das politische OK ist da. Ob unter den restriktiven Bedingungen der Corona-Schutzmaßnahmen die Teilnahme an der Fachausstellung für Sponsoren unter Kosten-Nutzen-Aspekten relevant ist, muss sich erst noch zeigen. Nicht für jeden Kongress wird das Ausstellungs-Sponsoring künftig ein Selbstläufer. Die Veranstaltung und der Veranstalter stehen dann möglicherweise vor dem KO!

Unsicherheit besteht auch beim Verhalten der Zielgruppe. Ist eine Fortbildungstagung unter den einschränkenden Rahmenbedingungen für potentielle Teilnehmer überhaupt noch interessant, wenn die Life-Kommunikation und der kollegiale Austausch in den Pausen arg in den Hintergrund gedrängt werden? Kommen die Interessenten in hinreichender Zahl und sind sie bereit, für weniger Leistung die (ggf.) höheren Teilnahmegebühren zu bezahlen? Man wird sehen!

Auch hier ist es wieder nur ein schmaler Grat zwischen NO und GO. Die Frage nach dem GO oder NO stellt sich auch für Betreiber, Veranstalter und PCO: Rechnet sich das? Verbrenne ich nur Geld oder lasse ich es besser? Aber das gehört zu einem anderen Kapitel der Machbarkeitsstudie – der Betriebswirtschaft!

Abschließend soll auch die Eingangsfrage konkret beantwortet werden. Der hier modelierte Kongress kann unter Corona-Bedingungen sein OK bekommen und durchgeführt zu werden. Dagegen stehen die Unsicherheiten und der Zweifel. Deshalb hat der Veranstalter entschieden, den Kongress ins Jahr 2021 zu verschieben. Für den PCO heißt das: „Außer Spesen nichts gewesen“.


Über den Autor:

Dr. Frank Mücke(Bild: Alex Talash)

Dr. Frank Mücke ist Geschäftsführer der Kodex-zertifizierten Full-Service-Agentur comed GmbH in Köln und bietet 30 Jahre Erfahrung in der Veranstaltungsorganisation, speziell in den Bereichen Pharma, Medizintechnik, Wissenschaft und Verbände. Die Agentur organisiert „kleine und feine“ Veranstaltungen ebenso wie Kongresse mit mehreren Tausend Teilnehmern.

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