Den einen CO2-Fußabdruck gibt es nicht

Klimarechner im Praxistest: Hohe Abweichungen bei CO2-Emissionen

Wer nicht vermeiden kann, kompensiert. So war bisher die Reihenfolge bei der Pflege des Umweltgewissens im Veranstaltungsgeschäft. Klimarechner spielten dabei oft eine wichtige Rolle. Wie unzuverlässig sie sind, hat die Hochschule Worms in einer Untersuchung Ende letzten Jahres bewiesen.

Fußabdruck(Bild: Pexels)

Nachhaltigkeit ist eines der aktuell beherrschenden Themen in der Veranstaltungswirtschaft. In den letzten Jahren wurde es vor allem durch das German Convention Bureau unter Leitung von Matthias Schultze und den Europäischen Verband der Veranstaltungs-Centren mit seinem Präsidenten Joachim König vorangetrieben. Den Startschuss gab die erste „Green Meetings & Events“-Konferenz im Jahr 2011 mit dem damaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin als Schirmherr und Hauptredner.

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Allerdings steht beim Thema Nachhaltigkeit in der Veranstaltungswirtschaft bisher der Umweltschutz einseitig im Vordergrund – das zeigt gerade die Marke „Green Meetings“. Einseitig deshalb, weil Nachhaltigkeit mehr ist als „grün“ – sie soll drei Faktoren berücksichtigen und in Ausgleich bringen, nämlich Ökologie, Ökonomie und Soziales. Nicht „Green“, sondern „Sustainable Meetings & Events“ müsste es also heißen!

Wie groß ist der CO2-Fußabdruck meiner Veranstaltung?

Aber sei’s drum, im vorliegenden Artikel steht tatsächlich der Umweltaspekt der Nachhaltigkeit im Vordergrund, denn es geht um den „Carbon Footprint“ von Veranstaltungen, ihren CO2-Fußabdruck, das wichtigste Maß für ökologische Nachhaltigkeit. Hinter dem Ausdruck „CO2-Fußabdruck“ verbirgt sich die Klimabilanz einer Veranstaltung, d. h. die detaillierte Aufrechnung aller durch den Veranstalter und seine Dienstleister verursachten Treibhausgase. Angestrebt wird weitest mögliche Klimaneutralität, und zwar in drei Schritten:

  1. Vermeiden;
  2. Reduzieren, was nicht vermieden werden kann; und
  3. Kompensieren, was nicht mehr reduziert werden kann.

Der CO2-Fußabdruck soll dem Veranstalter dabei helfen, Emissionsquellen zu identifizieren und konkrete Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

An- und Abreise als größte Emissionstreiber bei Veranstaltungen

Typische-CO2-Emissionsquellen-einer-Veranstaltung
Typische CO2-Emissionsquellen einer Veranstaltung (Bild: Quelle Atmosfair)

Wir müssen nicht drumherum reden: Veranstaltungen sind grundsätzlich eine Belastung für die Umwelt. Und zwar vor allem dann, wenn sie mit Reisen verbunden sind. Denn mehr als zwei Drittel aller CO2-Emissionen einer typischen Veranstaltung gehen auf das Konto der An- und Abreise (und Transfers). Nicht die Veranstaltung selbst, sondern die Teilnehmermobilität ist also der wichtigste Emissionstreiber! Erst dann folgen Location und Übernachtungsstätte, Speisen und Getränke und schließlich Energie- und Wasserverbrauch sowie Abfall.

Veranstaltungs-Manager, die wissen möchten, welchen CO2-Fußabdruck ihre Veranstaltung hinterlassen wird, brauchen nur ins Internet zu gehen. Dort haben sie die Wahl zwischen mehreren Online-Klimarechnern, die von verschiedenen Organisationen betrieben werden, gemeinnützigen (z. B. Atmosfair, Klimaktiv, Myclimate) oder gewinnorientierten (z. B. CO2OL).

Die Hochschule Worms hat einige bekannte Klimarechner getestet. Dazu wurden diese mit den Daten einer realitätsnah und detailgenau durchgeplanten Beispielveranstaltung gefüttert.

Steckbrief der Testveranstaltung

Art der Veranstaltung: Tagung

Dauer: Zwei Tage

Veranstaltungsort und Location: Sheraton Frankfurt Kongress Hotel ****

Anzahl der Teilnehmer: 180 und 20 Referenten

Mobilität (An-/Abreise, Transfer): 75 Prozent der Teilnehmer mir durchschnittlichem Anfahrtsweg von 500 km; 25 Prozent aus Frankfurt am Main und Umgebung mit durchschnittlichem Anfahrtsweg von 25 km.

Übernachtung: für 25 Prozent der Teilnehmer aus näherer Umgebung keine Übernachtung; 75 Prozent = 150 Personen je zwei Übernachtungen (Anreise am Vortag, Abreise am letzten Veranstaltungstag, da Veranstaltungsende um 15:30 Uhr und keine weitere Übernachtung zwingend notwendig)

Catering: für 210 Personen (Teilnehmer und Referenten plus 10 Personen Orga-Team): insgesamt dreimal Kaffeepausen, zweimal Mittagsstehbüffets, einmal Abendessen (drei Gänge)

Hochschule Worms hat Klimarechner gestestet

Schon bei der Datenerfassung zeigten sich zum Teil erhebliche Unterschiede: Während der eine Rechner mit Pauschalangaben zufrieden war, verlangte der andere detailgenaue Angaben. Noch größer war allerdings das Erstaunen beim Vergleich der Ergebnisse: Die errechneten Gesamtemissionen der Testveranstaltung wichen um bis zu 40 Prozent voneinander ab.

Vergleich-der-ausgewiesenen-CO2-Emissionen

Die meisten Klimarechner bieten eine Aufspaltung der Emissionen nach ihren Quellen an. Das ist wichtig, um im Anschluss an die Berechnung Optimierungsmaßnahmen ableiten zu können. So erlauben die Klimarechner von Atmosfair, CO2OL und Klimaktiv, die Bereiche Mobilität, Catering, Übernachtung, Location und Drucksachen einzeln zu betrachten. Lediglich der Anbieter Myclimate bietet diese Möglichkeit bislang nicht, sondern nur die Berechnung der Gesamtemissionen. Deren Zusammensetzung bleibt somit verborgen – ein bedauerlicher Mangel an Transparenz, der den Nutzen der Ergebnisse stark einschränkt. Denn wo soll man ansetzen, wenn man nur eine Zahl kennt?

Größte Abweichungen bei Mobilitätsemissionen

Vergleicht man die Ergebnisse der Klimarechner zu den einzelnen Emissionsquellen, nimmt das Erstaunen noch zu: Ausgerechnet bei der Mobilität, dem schlimmsten Emissionstreiber, fallen die Abweichungen am größten aus. So errechnet CO2OL mit 17t CO2e (e = Emissionsäquivalente) nur knapp halb so hohe Emissionen wie Atmosfair und Klimaktiv.

Die entscheidende Rolle scheint dabei der Luftverkehr zu spielen, der auch viele „Nicht-CO2-Effekte“ enthält, die von den Anbietern in ihren Berechnungsmodellen unterschiedlich gewichtet werden. Einen „wissenschaftlich richtigen“ Faktor gebe es nicht, wurde auf Rückfrage mitgeteilt. Das mag sein – doch sind Abweichungen von fast 100 Prozent bei ein und derselben Veranstaltung noch glaubwürdig? Wie kann ein Veranstaltungsplaner hier sicher sein, eine realistische Emissionsabschätzung zu erhalten? Und wie kann er geeignete Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung der Emissionen ergreifen, wenn die Hauptemissionsquelle einmal sehr niedrig, ein andermal sehr hoch ausgewiesen wird?

Der Hinweis, man könne hier mit guten Gründen unterschiedlicher Ansicht sein, wird nicht ausreichen, wenn wir das Thema Klimaschutz weiter nach vorn bringen wollen. Aber vielleicht sind die Betreiber der Klimarechner ja auch weniger am Vermeiden und Verringern von Emissionen interessiert als an deren Kompensation? (Denn das ist es, womit sie ihr Geld verdienen.)

Auch beim Catering zeigen sich krasse Abweichungen: Hier weist CO2OL mit 7t CO2e dreimal so hohe Emissionen aus wie die anderen beiden Rechner, die relativ nahe beieinander liegen. Das liegt sehr wahrscheinlich daran, dass nicht alle Rechner die Möglichkeit bieten, Einzelbestandteile des Caterings, z. B. Getränkemengen, exakt zu erfassen, sondern stattdessen Pauschalwerte ansetzen. Beim Catering hängt jedoch die Höhe der Emissionen davon ab, wie die Speise- und Getränkemengen kalkuliert, zubereitet und entsorgt werden – was man mit einem Pauschalwert nicht erfassen kann.

Ein ähnliches Bild bietet sich bei den Übernachtungen, nur dass diesmal die Werte von Atmosfair auffällig herausragen. Atmosfair begründet das auf Rückfrage mit dem „Luxusfaktor“ des im Test verwendeten Hotels, nach dem Grundsatz: höhere Ausstattung, höhere Emissionen. (Im Test wurde das Sheraton Frankfurt Kongress Hotel **** verwendet.) Klimaktiv sieht das anders: Hotels einer höheren Kategorie verfügten über die finanziellen Mittel für ein gutes Energiemanagement, das würde dem höheren Emissionsfaktor entgegenwirken. CO2OL wiederum legt seinen Emissionsfaktor offen, er beträgt 25,32 kg CO2e pro Übernachtung, und nennt als Datenquellen VDR, Dehoga und das Bundesbauministerium (BMVBS).

Jeder rechnet, wie er will

So können wir als Zwischenfazit festhalten: Bei den drei besonders wichtigen Emissionsquellen zeigen die Klimarechner zum Teil große Abweichungen. Nur in den weniger wichtigen Bereichen Veranstaltungsstätte (enthält Strom- und Heizkosten), Drucksachen und Sonstiges stimmen die errechneten Emissionen weitgehend überein.

In Summe hinterlassen die Online-Klimarechner keinen zuverlässigen Eindruck. Die Studie der Hochschule Worms zeigt, dass jeder Rechner andere Emissionsmengen ermittelt, und die Unterschiede sind zum Teil eklatant. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Jeder rechnet, wie er will! Wem also kann man vertrauen? Wer hat die „richtigen“ Zahlen, und woran sollen Eventmanager das erkennen?

Der CO2-Fußabdruck Ihrer Veranstaltung ist so groß, wie der Klimarechner ihn macht!

Das ist die Situation. Und der Grund dafür ist so simpel wie unbefriedigend: Für die Berechnung des CO2-Fußabdrucks gibt es bislang keine einheitliche Formel! Die Betreiber der Klimarechner können die Emissionsquellen und die zugehörigen Emissionsfaktoren im Prinzip frei wählen. Natürlich hat diese Freiheit Grenzen: So verwenden die Klimarechner als Grundlage der Emissionsberechnung überwiegend anerkannte Standards wie den „Gold Standard“. Doch führt dies, wie gesehen, keineswegs zu einheitlichen Ergebnissen.

Fazit zum Klimarechner-Praxistest

Den einen, objektiv richtigen „Carbon Footprint“ gibt es nicht. Der CO2-Fußabdruck einer Veranstaltung ist so groß, wie der jeweilige Klimarechner ihn macht, und für die Struktur der Emissionen gilt das gleiche. Das ist der ernüchternde Befund der Wormser Studie. Man kann es auch anders sagen: Hier ist noch sehr viel Raum für ein nachhaltiges Engagement der zuständigen Verbände. Denn es ist höchste Zeit, dass wir einheitliche Messstandard für Emissionen bekommen! [3217]


Die-Autoren-Klimarechner

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Deswegen gibt es ja meist auch einen frei wählbaren Sicherheitsaufschlag. Ich kann zum Beispiel annehmen, dass der Footprint insgesamt eher unterschätzt als überschätz wird und zB 50% aufschlagen.
    Und selbst wenn ich falsch rechne und nur die Hälfte der tatsächlichen Emissionen kompensiere ist das immer noch viel besser als gar nichts zu kompensieren. Jede Tonne zählt!

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  2. So erschreckend finde ich die Ergebnisse jetzt aber nicht. Irgendwie muss man eben anfangen zu messen und in der Praxis sind eben nicht immer 1. akkurate Verbrauchsdaten und 2. geeignete Emissionsfaktoren vorhanden. Das muss eben verbessert werden ohne die Komplexität für den Anwender erheblich zu steigern. Positiv zu werten ist in jedem Fall, dass die Handlungsfelder am Ende beinahe bei jedem Anbieter den gleichen Rang aufweisen. D.h. der primäre Sinn wird ja erfüllt nämlich die Identifikation von Handlungsfeldern, bei denen große Mengen CO2 eingespart werden können durch REDUKTION. Die genaue Berechnung der ausgestoßenen CO2 Emissionen ist definitiv nicht das größte Problem in Sachen Kompensation, das wir haben (Stichwort: Berechnung der vermiedenen Emissionen durch fiktive Szenarien).

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  3. So erschreckend finde ich die Ergebnisse jetzt aber nicht. Irgendwie muss man eben anfangen zu messen und in der Praxis sind eben nicht immer 1. akkurate Verbrauchsdaten und 2. geeignete Emissionsfaktoren vorhanden. Das muss eben verbessert werden ohne die Komplexität für den Anwender erheblich zu steigern. Positiv zu werten ist in jedem Fall, dass die Handlungsfelder am Ende beinahe bei jedem Anbieter den gleichen Rang aufweisen. D.h. der primäre Sinn wird ja erfüllt nämlich die Identifikation von Handlungsfeldern, bei denen große Mengen CO2 eingespart werden können durch REDUKTION. Die genaue Berechnung der ausgestoßenen CO2 Emissionen ist definitiv nicht das größte Problem in Sachen Kompensation, das wir haben (Stichwort: Berechnung der vermiedenen Emissionen durch fiktive Szenarien).

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